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Reisen vom Polarkreis zum Äquator (IX)

Vom Tal der Langlebigen zum höchsten aktiven Vulkan der Erde

Anden-Eisenbahn      Vulkan Cotopaxi    Unterkunft Tambopaxi   Wildes Pferd   Unterwegs am Cotopaxi   Frau in Otavalo    Geschwister

Rund um das Hostal Madre Tierra (Hotel „Mutter Erde") in Vilcabamba haben die Wirtsleute verschiedene heimische Obstbäume gepflanzt. Einige reife Früchte lassen sie daran hängen, damit die vielen farbenprächtigen Vögel hier Nahrung finden. Diese fliegenden Juwelen singen schon frühmorgens in den schönsten Flötentönen. Schillernde Kolibris bestäuben die Bäume. Nachts umrunden fruchtfressende Fledermäuse und blinkende Leuchtkäfer den Garten. Eine Idylle! Vilcabamba heisst „Heiliges Tal". Das Dorf liegt auf 1526 Meter über Meer, in der Ecuadorianischen Südprovinz Loja. Die meisten Leute hier sind Bauern. Die Temperatur schwankt während des ganzen Jahres zwischen 24,5 °C an einem heissen Tag und 12 °C an einem kühlen Morgen. Zwei Flüsse durchqueren das Tal, der Chamba und der Yambala. Auch in einem trockenen Sommer bleibt das Tal deshalb grün. Vilcabamba wurde berühmt, als die Zeitschrift National Geographic einen Beitrag der Harvard Universität über die Langlebigkeit ihrer Einwohner publizierte. In einer Ortschaft von weniger als 3000 Einwohnern waren gemäss den Taufbüchern 64 Personen älter als 100 Jahre. Der Gerontologe Ph. D. Richard Mazes meinte, dass die jugendliche Struktur der Knochen der alten Leute sogar interessanter sei als das Alter selbst. In der Folge kamen Wissenschafter aus vielen Ländern, um zu studieren, weshalb die Leute so alt würden. Lebten sie nur deshalb so lange, weil es weder Arzt noch Apotheke gab? Oder wurde früher beim Registrieren geschummelt? Seit es hier einen Spital und eine „Farmacia" gibt, werden die Leute jedenfalls nicht mehr so alt!

Während unserer Reise benutzen wir die verschiedensten Verkehrsmittel. In Nordamerika (Kanada und USA) sassen wir rund 15'000 km selbst am Steuer. In Zentral- und Südamerika reisen wir nun mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, sitzen stundenlang auf Pferderücken und paddeln sogar im Einbaum. Busfahren in Ecuador ist ein nervenkitzliges Erlebnis der besonderen Art. Das ganze Transportnetz ist privatisiert und gut ausgebaut. Es existiert jedoch ein harter Konkurrenzkampf zwischen den verschiedenen Gesellschaften. Haltestellen gibt es nur in grösseren Städten. Unterwegs kann man durch Winken ein Fahrzeug anhalten. Da die Fahrer an den Einnahmen direkt beteiligt sind, veranstalten sie regelrechte Rennen um die nächsten Passagiere. So wird trotz ausgezogener Sicherheitslinie und kurvenreicher, verlöcherter Strasse immer wieder überholt. Manchmal „dopen" sich die übermüdeten Fahrer mit Rum und gekauten Kokablättern. Kreuze am Strassenrand bezeugen die Verkehrsopfer. Es sind deren bedenklich viele. Da ist die Zugfahrt mit der transandinischen Eisenbahn von Alausi nach Riobamba schon gemütlicher, wenn auch nicht weniger abenteuerlich. Bis zur Teufelsnase, einem touristischen Abstecher mit 1000 Metern Höhenunterschied, fahren wir auf dem Dach eines Güterwagens, nicht etwa weil es im Zug keinen Platz hätte, sondern weil man das hier darf. Für einen Dollar kann man sogar ein Kissen mieten, damit man etwas bequemer sitzt. Auf dem Wagendach patrouillieren Händler und verkaufen getrocknete Bananen und Getränke. Da das Wetter kühl wird, wechseln wir später in das Innerer eines Wagen. Plötzlich geht ein Ruck durch den Zug. Ein Wagen ist entgleist. Innert zehn Minuten ist das Rad wieder auf der Schiene. Alles für einen solchen Zwischenfall notwendige Werkzeug wird immer mitgeführt und kommt auch meist zum Einsatz. Ein nächster Halt in einer frischen Aufforstung dauert dann etwas länger. Nach etwa einer Viertelstunde haben alle Bahnangestellten einen Christbaum gefrevelt, die Fahrt kann weitergehen!

Zwischen Riobamba und Quito liegt der Cotopaxi Nationalpark. Im Park leben etwa 3000 wilde Pferde, herrliche Tiere mit langer Mähne und einem Schweif bis fast zum Boden. Leuchtend gelbes Ichugras (Stipa ichu) als Futter gibt es hier zur Genüge. Rote Lancetillas (Castilleja pumila) und weisse, stachelspitzige Estrellas (Valeriana rigida) schmücken den trockenen Lavaboden. Der Vulkan Cotopaxi (5897 m.ü.M.) ist ein sehr eindrücklicher Berg. Bergführer Reno Roman-Lüthold und seine Schweizer Frau Francisca haben hier soeben eine ganz neue Unterkunft eingeweiht, das Tambopaxi. Sie möchten den Park bis zum nahen primären Regenwald erweitern und den dezimierten heimischen Tierbestand von Lama, Puma und einer Rehart wieder stärken. Sie haben deshalb auch mit Wildforschern der ETH Zürich Kontakt aufgenommen. Cotopaxi bedeutet in der Sprache der Panzaleos „Feuerschlund". Der letzte Ausbruch liegt zwar 80 Jahre zurück, doch aus dem Krater steigen noch immer Rauch und Schwefeldämpfe. Ich entschliesse mich, zusammen mit einem Skilehrerpaar aus Grindelwald und dem heimischen Bergführer Gustavo den benachbarten 4712 m hohen Ruminauhi zu besteigen. Die letzten 100 Meter über die feine, fast staubige Lava komme ich recht ins Keuchen, doch ich schaffe es! Runter rutscht man dann wie auf sulzigem Schnee, das geht natürlich rascher. Mit stolzer Freude schaue ich zurück zum Berg. Noch weiss ich nicht, dass mir mein Kollege auf der Gipfelfoto den Kopf abgeschnitten hat.... .