zurück

Reisen vom Polarkreis zum Äquator (VIII)

Judas, die verräterische Ziege von Galapagos

 

    Maskentölpel         Blaufusstölpel       Junges und Ei        Rotfusstölpel     Galapagos Bussard  Junger Fregattvogel  Gabelschwanzmöve

     

Zwei Seelöwenbabies  Junger Seelöwe     Säugender Seelöwe    Lavakakteen    Riesenschildkröte  Schwimmende Schildkröte Strandkrabben

Opuntienlandschaft    Meerleguane            Landleguan        Landleguan           Junger Albatross       Insel Bartolomé     Goldwaldsänger   

Galapagospinguine   Brandung Española  Balzende Fregattvögel  Spottdrossel      Blaufusstölpel mit Jungem    Tropikvogel       Kaktusfink

 

Die Gelbe Papierwespe (Polister versicolor) hat sich auf dem Deck unseres Schiffes „Sea Man“ festgeklammert. Sie reist so von der Insel Lobos zur Insel Santa Fe. Die Wespenart wurde 1988 erstmals auf Galapagos entdeckt. Inzwischen ist sie auf vielen Inseln heimisch geworden. Das aggressive Insekt ernährt sich von Schmetterlingen und anderen Wirbellosen. Seit 1994 ist auch die Schwarze Papierwespe (Brachygastra lecheguana) hier zu finden, welche manchmal in grösseren Schwärmen auftritt.

Die Inselprovinz Galapagos liegt knapp 1000 km westlich des ecuadorianischen Festlandes, im Stillen Ozean. Die 121 Inseln und Felsen haben insgesamt eine Fläche von 7882 km2. Im Westen entstehen durch vulkanische Tätigkeiten laufend neue Landflächen. Gegen Osten, wo bis 4 Millionen Jahre alte Inseln stehen, wird die Tier- und Pflanzenwelt dichter. Fast jede Insel besitzt eine andere Lebensgemeinschaft. Isolation, Mikroklima, Zufälle, aber auch der Mensch, sind an dieser Erscheinung mitschuldig. Als der Naturforscher Charles Darwin während seiner fünfjährigen Weltreise auf der „Beagle“ 1835 auf den Galapagos Inseln anlegte, beschrieb er das Inselreich als „Gärten der Hölle“. Die trockenen, lebensfeindlichen Inseln haben paradoxerweise auch etwas paradiesisches an sich. So kennen die hier heimischen Tiere überhaupt keine Scheu. Leguane, Riesenschildkröten, Seelöwen, Pelzrobben, Fregattvögel, drei Tölpelarten, Reiher, Pinguine, Pelikane, Tauben, Tropikvögel, Lava- und Gabelschwanzmöven und sogar Albatrosse können aus nächster Nähe beobachtet werden. Auch die verschiedenen Finkenarten der Inseln wurden von Darwin akribisch gezeichnet und beschrieben. Sie wurden zu einem Stein im Puzzle der modernen Evolutionstheorie, welche er 1859 unter dem Titel „Die Entstehung der Arten“ publizierte. Die erste Auflage seines Buches war innert zweier Tage ausverkauft! Die Schrift hat die Naturwissenschaften revolutioniert. So ist es nur verständlich, dass mir als Biologe beim Landen auf Galapagos das Herz klopfte wie einem Novizen, welcher zum ersten mal die Heilige Stadt besucht. 

Schon vor Darwin erreichte 1535 der in Seenot geratene Bischof Tomas de Berlanga die Inseln. Er gilt seither als Entdecker des Archipels. In den folgenden Jahren wurden die Inseln zu Verstecken für Piratengold, welches aus den spanischen Gallonen geraubt wurde. Die Walfänger des 19. Jahrhunderts schlachteten viele Seelöwen ab und sammelten Tausende von Riesenschildkröten als lebende Fleischkonserven. Die Republik Ecuador deportierte Schwerverbrecher und politische Gefangene auf die Inseln. Sie sollten die Schwefelminen und Sklavenplantagen bewirtschaften. Mit den Menschen kamen die Haustiere, welche in der Folge verwilderten und grosse Veränderungen des Ökosystems bewirkten, so Hunde, Katzen, Schweine, Esel und Ziegen. Eingeschleppte Ratten frassen den endemischen Mais, Krähen raubten die heimischen Finkengelege aus. Die Ziegen vermehrten sich zu Hunderttausenden und frassen gewisse Inseln fast kahl. Dadurch wurde die Nahrungsbasis für die Riesenschildkröten und die Landleguane knapp. 1959 wurden 97% der Landfläche von Galapagos zum Nationalpark erklärt. Bis zum Anfang der Achzigerjahre gelang die vollständige Ausrottung der Ziegen auf den Inseln Española, Marchena, Santa Fe, Plaza Sur und Pinta. Die Eliminierung auf den übrigen Inseln schien utopisch. Doch neulich hat man die Dezimierung der Ziegen auf der Insel Santiago mit einem Verräter an die Hand genommen. Die abgerichtete Ziege „Judas“ findet ihre versteckten Artgenossen im dichten Unterholz dermassen zielsicher, dass man von den über 100'000 vermuteten Ziegen innert 20 Tagen deren 12'000 schiessen konnte.

Die Konflikte zwischen Fischern, welche dauernd neu vom ecuadorianischen Festland hier ansiedeln und den Interessen des Naturschutzes, welche grössere Gewässerzonen beanspruchen, sind noch nicht gelöst. Doch längst ist der Naturtourismus die wichtigste Einnahmequelle von Galapagos geworden. Naturführer, Schiffsmannschaften, Leibchendesigner und Barbesitzer kennen ihren Marktwert. Als Besucher ist man trotz der steigenden Touristenzahlen meist noch immer fernab vom Rummel der Zivilisation. Da schwimmt man zwischen Adlerrochen, Seelöwen und Grauhaien. Auch „harmlose“ Hammerhaie seien in der Nähe  Beim Anblick eines Seelöwen mit abgebissener Hinterflosse bin ich allerdings froh, meine Extremitäten wieder unversehrt aufs Schiff ziehen zu können.

Wohl nirgends scheint der konservierende Naturschutz weniger angebracht als in der dynamischen Inselwelt von Galapagos. El Niño, die warme Meeresströmung, hat 1997/98 zu drastischen Veränderungen auf gewissen Inseln geführt. Während die Nahrung im Meer dramatisch zurückging und viele Seelöwen und Seevögel auf Diät gesetzt wurden, hatten Schildkröten und Landleguane schlaraffenähnliche Bedingungen. Starke Regenfälle und die um bis zu 10 Grad wärmeren Temperaturen liessen die geliebten Kakteen stark wachsen. Sollte die globale Klimaerwärmung weiter anhalten, wird sich die Dynamik von Galapagos an vielen Orten der Erde wiederholen. Dass die Erhaltung des heutigen Zustandes weit billiger ist als die Behebung der Folgen einer Erderwärmung, haben Versicherungsstatistiker längst ausgerechnet. Die kleine Papierwespe wird sich darauf verlassen, dass neue Bedingungen neue Nischen schaffen. Dem jugendlichen sechzigjährigen „Einsamen George“, welcher als letzte Riesenschildkröte seiner Art von der Insel Pinta in der Darwin-Forschungsstation auf Santa Cruz seit vielen Jahren vergeblich auf eine Partnerin wartet, werden auch Erfolge im Umweltschutz keine Zukunftsperspektiven eröffnen können.