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Reisen vom Polarkreis zum Äquator (VII)

Auch die Toten essen gerne gut

Pyramide Teotihuacan   Mexikanerin      Kathedrale Oaxaca     Tisch für Toten        San Cristobal        Cenote Ik Kil        Mayakastell Tulum

Die Schaufenster sind voller Totenschädel (calaveras) aus Zuckerguss und Marzipan. Man freut sich in Mexiko schon Wochen zuvor auf den „Dia de los muertos", auf Allerseelen. Der Tag der Toten ist hier kein Trauertag, sondern ein Festtag. Bereits die Maya gaben ihren Toten Lebensmittel mit ins Grab. In vielen Gegenden Mexikos werden noch heute den Verstorbenen an Allerseelen Tische mit einem Festmahl bereitgestellt. Da sie sich nur an deren Essenzen erfreuen, bleibt das Bankett für die Hinterbliebenen übrig, welche es dann auch wacker aufessen. Aber auch persönliche Gebrauchsgegenständen wie Hängematte, Hut oder Tabakpfeife werden den Toten bereitgestellt. Allerseelen ist ein fröhliches Fest, wie so viele kirchliche Feste in Zentralamerika. In Oaxaca, einer der schönsten Städte Mexikos, erleben wir gerade ein lokales Kirchenfest. Auf dem Kirchplatz wartet die Blasmusik auf das Ende der Messe. Sobald diese zu Ende ist, tanzen Männer im Aztekenschmuck und mit prächtigem Federkopfputz zu den gespielten Rhythmen. Danach rennen junge Burschen mit einer feuerwerkbespickten Eselsattrappe durch die Leute. Gekreische und Gelächter, Unfallgefahr hin oder her. Die Kathedrale erstrahlt in bengalischem Feuer. Schliesslich wird eine präparierte Christusfigur angezündet, welche dem Böögg am Sechseläuten alle Ehre machen würde. Mit Applaus saust als Höhepunkt die Dornenkrone gegen den Himmel. Während die Tauben am Kirchengewölbe die Welt nicht mehr verstehen, drehen drei Hunde in der Kathedrale eine Ehrenrunde. Der Pfarrer macht einen zufriedenen Eindruck. Volkskirche eben!

Etwa 80 % der heutigen Bevölkerung sind Mestizen, also Mischlinge, 10 % sind reine indianische Völker (Indigenas) und 10 % sind Weisse. Das Volk von Mexiko ist eine heterogene Gesellschaft, sprachlich wie abstammungsmässig. Die Vermischung der Rassen wurde von den Spaniern bewusst gefördert. Die stolze Geschichte der Indigenas sollte aus dem Bewusstsein gelöscht werden. Das Kreuz der Konquistadoren traf genauso hart wie das Schwert. Es ist schriftlich belegt, dass am 12.6.1562 über 10'000 Maya zu Tode geschlagen oder zu Krüppeln gefoltert wurden (Autodafe von Mani). Bischof Diego de Landa (1524-1579) versuchte den Glauben der Maya dadurch auszurotten, indem er ihre unersetzlichen Handschriften verbrennen liess. Parallelen zur Sprengung der über tausendjährigen Buddhastatuen durch die Taliban in Afghanistan drängen sich geradezu auf. Glücklicherweise konnten vier Codices gerettet werden, welche sich heute alle in Europa befinden. Auch die Inschriften (Glyphen) an den Tempeln der Maya und anderer Völker konnten entziffert werden. Dadurch wird eine über 2000 Jahre alte Geschichte offenbar, welche wir bei den grandiosen Pyramiden und Sakralbauten von Teotihuacan (Azteken), Monte Alban (Olmeken und Zapoteken), Palenque, Chichen Itza und Tulum (Maya) angetroffen haben. Observatorien, raffinierte Zahlensysteme und eine Berechnung der Jahresdauer, welche von der heutigen gerade um 17 Sekunden abweicht, bezeugen die weit über tausend Jahre alten naturwissenschaftlichen Kenntnisse der Eingeborenen.

Die Einheit Mexikos ist nicht gewaltfrei gewachsen. Auf dem Markt von San Cristobal de las Casas in der Provinz Chiapas werden noch heute vermummte Puppen der Zapatisten als „Souvenir" verkauft. Einigend haben die Worte von Benito Juarez, dem bedeutendesten Reformpolitiker und ersten indigenen Präsidenten Mexikos gewirkt (1806-1872), welche man an vielen öffentlichen Gebäuden findet: „ El respeto al derecho ajeno es la paz", der Respekt der Rechte anderer bedeutet Frieden. Doch das moderne Mexiko kämpft noch immer gegen bitterste Armut, Analphabetismus und viele Krankheiten, besonders auch gegen AIDS. Wer Wasser aus dem Hahn trinkt, spielt russisches Roulette. Aber im karstigen Yucatan findet man auch saubere Cenotes, unterirdische Wasserläufe, welche oft kreisrund eingebrochen sind und als natürliche Brunnen bereits den Maya als Wasserreservoir dienten. Saftig grün hängen Schlingpflanzen und Moose in die Tiefe hinab. Im Cenote Ik Kil bei Chichen Itza konnte ich sogar schwimmen.

Die katholische Kirche hat in der jüngeren Geschichte Mexikos immer wieder eine Schlüsselrolle gespielt. Es ist ihr trotz der geschilderten Inquisition gelungen, sich in einer breiten Bevölkerungsschicht zu verankern. Dies geschah nicht zuletzt deshalb, weil sie viele Bräuche der Indigenas adaptierte oder umformte. Gold war schon zu Zeiten der Maya das Symbol der Sonne und ihres Gottes. Da liess man die neuen Kirchen ebenfalls gerne mit Gold schmücken. Es gibt kaum einen Taxifahrer, welcher nicht einen Rosenkranz am Rückspiegel aufhängt. Wer den Zustand der Fahrzeuge und die Fahrweise der Mexikaner kennt, begreift dieses Sicherheitsbedürfnis bestens. Das Prinzip der Hoffnung können auch jene mausarmen Indigenas in den Bretter- und Palmhütten des tropischen Nebelwaldes wahrlich gebrauchen, welche barfuss im Dreck zwischen Hunden und Schweinen einige Limonen und Bananen zu verkaufen versuchen.