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Reisen vom Polarkreis zum Äquator (V)

In der Säulenhalle des Teufels

Granitplatten              Mono Lake            Devils Postpile        Tal des Todes        Erdbebenfalte           Hot Creek        Indian Summer

Es ist kurz vor Mitternacht. Ein fürchterliches Gepolter reisst uns aus dem Schlaf im Curry Village im Yosemite Nationalpark, dem ältesten Nationalpark Amerikas (der Welt?). Während einer knappen Minute scheint der Himmel über uns einzustürzen. Vor den Zeltkabinen werden Taschenlampen angeknipst, sammeln sich zitternde Gäste und Park-Rangers, welche mit Funkgeräten ausgerüstet sind. Wie können solche Granitmonolithen wie die gigantischen Berge Halfdom, Capitan und Cathedral einfach zerbrechen und Teile ihrer äussersten Hülle zu Tal donnern lassen? Gottlob wurden die Zelte und Häuschen nicht betroffen. Mit der etwas mulmigen Bemerkung, dass Bergstürze hier relativ häufig seien, werden wir wieder in die Heia geschickt.

Am nächsten Tag finden wir die Erklärung für solche Naturereignisse. Am Tiogapass ist der von Gletschern blankpolierte Granitfelsen geritzt wie eine Tafel Schokolade. Eindringendes Wasser und Temperaturschwankungen sprengen den Fels und schälen ihn wie eine Zwiebel. In die Risse drängen sich die Wurzeln von Pinien. Erratische Blöcke liegen wie Klunker auf dem kristallinen Muttergestein. Hier, am höchsten befahrbaren Pass Kaliforniens (3031 m.ü.M.), liegt die Waldgrenze bei etwa 3200 Metern über Meer! Weit unten im Tal stehen die Riesenmammutbäume (Sequoiadendron giganteum), welche bis 3000 Jahre alt werden können. Die gewaltigen Säulen stimmen mich ehrfürchtig.

Der Mono Lake ist ein Salzsee östlich des Tiogapasses. Sein Salzgehalt beträgt fast 10 Prozent, also rund dreimal mehr als derjenige des Pazifiks. Hier findet man Meeresmöven (Larus californicus) auf 1940 m.ü.M., inmitten der High Sierra Nevada. Wenn man sich dem Seeufer nähert, wird die Flugroute der Tiere verständlich. Myriaden von Alkali Fliegen bilden einen meterbreiten schwarzen Saum am Ufer des Gewässers. Die Ureinwohner dieser Gegend, die Kuzedika Indianer, filterten deren Larven frueher mit handgeflochtenen Sieben aus dem Wasser und trockneten sie an der Sonne. Sie bildeten eine proteinreiche Nahrung und wurden als solche auch gehandelt. In der Sprache der Indianer heisst Mono Lake „Fliegensee„. Der See ist für fast 300 Vogelarten eine Tankstelle auf dem Durchzug von Südamerika in die Arktis. Im Süden gibt es einen „Schwestersee„ in Argentinien, die Laguna Mar Chiquita. Nebst den Fliegen bilden Algen, Phytoplankton (= pflanzliche Kleinstorganismen) und Kleinkrebse eine wichtige Nahrungsquelle. Diese Salzkrebschen, welche in Zysten überwintern, werden auch als Futter für Tropenfische ausgefiltert.

Von 1941 bis 1982 ist der Wasserstand des Mono Lake um 12 Meter auf ein historisches Tief von 1942,2 m.ü.M. gefallen. Der Hauptgrund ist die Entnahme von Trink- und Bewässerungswasser für die Stadt Los Angeles, welche die Zuflüsse in der Sierra Nevada angezapft hat. Die Folgen für die brütenden Möwen wurden rasch ersichtlich. Kojoten erreichten auf dem Landweg die ehemals isolierten Inseln und plünderten die Brut. Dem Einsatz von engagierten Umweltschützern war es zu verdanken, dass der Mono Lake 1991 als Naturreservat ausgeschieden wurde. Doch die Probleme mit dem Wasserstand sind noch vorhanden. Ein Austrocknen vom Ausmass des Aralsees (ehem. UdSSR) konnte jedoch gestoppt werden. Die eigentliche Faszination des Mono Lakes verursachen schmutzigweisse, poröse Kalksäulen, welche skurril im Wasser und am nahen Ufer stehen. Diese so genannten Tufas entstanden unter Wasser. Aufstossende Quellen mit einem starken Gehalt an Calciumcarbon mischen sich mit dem mineralienreichen Oberflächenfrischwasser. Dabei bilden sich in langsamen Prozessen die Türmchen, irgendwie vergleichbar mit den Tropfsteinen in Höhlen.

Ein gewaltiger Krater von etwa 18 mal 33 Kilometern, welcher vor etwa 700'000 Jahren entstanden sein dürfte, umrandet die Inyo Region von Mammoth. In der Andreasspalte (Earthquake Fault) bei Mammoth Lakes passen die 6 bis 8 Meter voneinander liegenden Ränder eines gewaltigen Grabens wie Puzzleteilchen zusammen. Der mehrere hundert Meter lange Riss ist viele Meter tief. Ob es sich hier um einen Bruch nach einer Abkühlung der Erde oder eine Erdbewegung beim Wachsen des Sierra Nevada Gebirges handelt, ist nicht geklärt. Jedenfalls zeigt es ebenso wie die siedenden Wasseraufstösse im nahen Hot Creek die Unruhe des hiesigen Erdmantels.

Nur wenige Kilometer von der Andreasspalte entfernt finde ich die „Devils Postpiles„, die eigentliche Säulenhalle des Teufels. Dieses nationale Monument sieht aus wie eine riesige Kirchenorgel, welche an ihrer Basis zertrümmert wurde. Vor weniger als 100'000 Jahren floss Basaltgestein als Lava in das vergletscherte Tal. Das über 120 Meter dicke flüssige Gestein kühlte sich an der Oberfläche an der Luft ab. Im Gesteinsbett jedoch geschah dies am kühleren Granit. Dabei zog sich die Basaltmasse zusammen. Es entstanden sechseckige Bruchstücke, wie Bienenwaben. Ein 120 Grad Winkel scheint in der Natur die energetisch beste Form von polygonalen Flächen zu sein. Die sechseckigen Säulen zerbrachen teilweise nochmals, als sie von späteren Gletscherströmen weiter auseinandergedrückt und umgebogen wurden.

Weder zwischen den Trümmerresten, noch auf der anschliessenden Fahrt durch die glühende Hitze im Tal des Todes (Death Valley), ist Belzebub leibhaftig zu erblicken. Doch seine Visitenkarte ist allgegenwärtig. Da gibt es das „Devil’s Cornfield„, mit einer Art Trockengras, welches wie gedrehte Korngarben aussieht. Der „Sidewinder„ ist eine kleine, hochgiftige Klapperschlangenart, welche sich seitwärts springend fortbewegt. Sie verkriecht sich tagsüber in der Erde, wenn es ihr zu heiss wird. Das „kalte Wasser„ in Furnace Creek, einer Oase im Death Valley, hat sich der Umgebungstemperatur angepasst und ist weit über 40 Grad heiss, so dass das „Fudi„ auf dem WC richtiggehend bedampft wird! Nahe beim Zabriskie Point und dem „Golfplatz des Teufels„ (Devil’s Golf Course) liegt mit minus 86 Metern der tiefste Punkt der westlichen Hemisphäre. Doch der Gehörnte wartet vermutlich in der Spielhölle von Las Vegas!