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Reisen vom Polarkreis zum Äquator (IV)

Die zerbrochenen Inseln von Ucluelet

Abend in Tofino     Morgennebel am Pazifik   Totempfähle       Weisskopfadler         Hot Springs            Pazifik Rim    Pazifischer Regenwald

Die Nuu-chah-nulth nannte man früher „Nootka Indianer„. Es sind die Eingeborenen der West Vancouver Island. Sie nennen sich auf englisch "The first Nations People". Ucluelet bedeutet in ihrer Sprache „Sicherer Hafen„. Ucluelet ist ein Tor zu den Broken Groups Islands, welche der Westküste der kanadischen Vancouver Island vorgelagert sind. Die Inseln zeugen von der seismisch sehr aktiven Zone dieser Region. Erdbeben sind hier nichts Aussergewöhnliches. Im Visitor Centre von Wikckaninnish wird eine Bombe aus glasartiger Pillenlava gezeigt. Sie ist unter grossem Druck beim Abkühlen in der eisigen Flut des Pazifikwassers entstanden. Eineinhalb Bootsstunden nördlich von Tofino kommt das Wasser mit 50 Grad Celsius aus dem Boden, nachdem es zuvor im tiefen Erdinnern auf über 100 Grad erhitzt wurde. Hier in Hot Springs bildet der Bach zuerst einen kleinen Wasserfall, welcher etwa 5 Liter pro Sekunde liefert. Das Wasser riecht leicht nach Schwefel. In mehreren Stufen plätschert das heisse Wasser von Steinwanne zu Steinwanne. Die Brandung kühlt dann den erwärmten Körper ab, wie der Schnee nach einer finnischen Sauna. Ein herrliches Gefühl!

Auf der Rückfahrt von Hot Springs sehen wir einen Grauwal. Die Nuu-chah-nulth jagten jahrhundertelang Grau- und Blauwale. Diese relativ langsamen Schwimmer kommen auf ihren Wanderungen von Alaska nach Hawaii in den hiesigen Küstengewässern vorbei. Drei bis vier erlegte Wale garantierten früher einem Volksstamm eine gesicherte Existenz. Das Navigationssystem der Wale ist auch heute noch ein Geheimnis. Forscher legen seit gut 20 Jahren Datenbanken von Walschwanzflossen an, denn jedes Tier hat sein eigenes Schwanzbild, vergleichbar mit einem Fingerabdruck. Dank den Fotovergleichen konnte man die grossen Zugrouten der Meeresriesen dokumentieren. Zur Jagd benutzten die Nuu-chah-nulth aus Rotzedern geschnitzte Kanus. Dieser Baum, welcher zu den Verwandten des Thujabaumes gehört, war für die Eingeborenen im wahrsten Sinne ein "Lebensbaum". Aus dessen Bast wurden Kleider gewoben. Das Holz wurde auch zum Schnitzen von Dramamasken und Totempfählen verwendet. Die imposanten Pfähle erzählen die Familiengeschichte eines Stammes. Das Bild vom Marterpfahl ist hier völlig verfehlt!

Die Rotzeder bildet zusammen mit der Douglasie den Hauptbestandteil des Pazifischen Regenwaldes. Zwischen den kanadischen Trockengebieten von Osoyoos (weniger als 200 mm Niederschlag pro Jahr) und dem Dörfchen Zeballos an der Nordwestküste von Vancouver Island (6480 mm Niederschlag pro Jahr) liegen nur knapp 400 km. Das feuchtmilde Klima begünstigt hier eine Vegetation, welche als Pazifischer Regenwald bekannt ist. Ein Streifen dieses Waldes ist seit wenigen Jahrzehnten als Pacific Rim Nationalpark geschützt. Noch 1993 wurde in dessen Nähe ein erbitterter Kampf zwischen Umweltschützern, Indianern und Holzfällern um den Bestand des uralten Regenwaldes geführt. Aktivisten liessen sich an Bäume festketten, um die Holzfäller an der Arbeit zu hindern. Die Provinzregierung gab schliesslich nach. Heute schützen neue Provinzparks und Indianerreservate einen grossen Teil des Waldes am Clayoquot Sound bei Tofino.

Wie gewaltig der alte Urwald wirkt, kann man in Cathedrale Grove erleben. Hier stehen über 800 Jahre alte Rotzedern und gewaltige Douglasien. 1997 zerstörte ein Sturm viele Bäume. Ihre liegenden Äste dienen Jungbäumen als Starthilfe. Die Bäume sind völlig von Moos behangen. Am Boden leuchtet das saftige Grün von Farnpflanzen. Wenn es einen Märchenwald gibt, dann ist es dieser Regenwald. Der "Red Breastet Sapsucker" (Sphyrapicus ruber = Rotbrüstiger Saftsauger) bohrt parallele Reihen von kleinen Löchern in lebende Bäume. Später besucht dieser spechtartige, scheue Vogel die Baumstämme wieder auf und saugt ihren Saft und auch kleine Insekten auf, welche durch ihn angezogen werden. Die Löcher werden noch lange nachher auch von anderen Tieren benutzt. Im Moospolster der Wipfel des Regenwaldes brütet der "Marblet murrelet" (Brachyramphus marmoratus), ein amselgrosser Meeresvogel mit einem sehr kurzen Nacken und kurzem Schwanz. Lange Zeit hatte man keine Ahnung, wo dieser weissschwarze Vogel, welcher stark einem kleinen Pinguin gleicht, brütet. Erst 1963 fand ein Sibirischer Ornithologe ein Nest auf einem hohen Baum. 1974 wurde ein Nest im Kalifornischen Santa Cruz gefunden, 41 Meter über dem Boden und einige Kilometer vom Meer entfernt. Heute weiss man, dass der Vogel nachts zu seinem Versteck im Moospolster alter Bäume fliegt und so seine Jungen schützt.

Der feuchtwarme pazifische Rotzedernwald erscheint auf den ersten Blick skurril, denn seine Wipfel sind oft abgestorben. Doch unten treiben die Bäume jahrhundertelang weiter. In ihren Baumgipfeln warten Weisskopfadler (Haliaeetus leucocephalus) auf einen fetten Fisch. Die Stämme sind weich in watteartige Nebel eingehüllt. Es könnten die Nebel von Avalon sein, welche in eine mystische Sagenwelt entführen. Spätestens wenn ein beerensuchender Schwarzbär aufkreuzt, findet man in die Realität zurück. Aber das ist eine andere Geschichte!