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Vietnam (I) – Die langen Schatten der Kriege

Bergvolk der Roten Dao      Mekongmarkt von Cai Rang   Japanische Brücke Hoi An       Alter Mann             Happy Buddha

    

Knapp 37 Jahre sind es her, seit der Vietnamkrieg für den Westen militärisch „abgeschlossen“ wurde. Doch das Land leidet noch heute an Umweltgiften, Verkrüppelungen und am Trauma des Krieges.

In Vietnam wollten meine Frau Rigette und ich jene Orte aufsuchen, welche während meiner Studentenzeit für Schlagzeilen sorgten. Als Biologe wollte ich zudem etwas über die Spätfolgen der abgeworfenen dioxinhaltigen Entlaubungsmittel erfahren. Und wie kommt es, dass eine Bevölkerung, welche dermassen unter den Amerikanern gelitten haben, heute in der Schule als erste Fremdsprache Englisch lernt? Woher nimmt das Volk der Vietnamesen die Kraft, Europäern, Australiern und selbst Amerikanern mit der gleichen Freundlichkeit zu begegnen, welche sie auch ihren eigenen Landsleuten zuteil kommen lässt? Wir durchquerten im Oktober während dreier Wochen das Land von Norden nach Süden. Es wurde eine eindrückliche Reise.

Eine Serie von Kriegen wider Willen

 Bald nach unserer Landung in Hanoi wurde uns klar, dass es für die Ansässigen keinen „Vietnamkrieg“ gegeben hatte, höchstens einen „Amerikanerkrieg“, welcher allerdings zusätzlich noch zum Bürgerkrieg wurde. Er war bloss eine Episode einer viel längeren Leidensgeschichte. Bereits 1863 begannen die Franzosen das Königreich Vietnam als Kolonie zu unterwerfen und auszubeuten. Mehrere Aufstände gegen die Unterdrückerherrschaft scheiterten in der Folge. Im zweiten Weltkrieg überfiel Hitlers asiatischer Verbündeter Japan Indochina. Ein Grossteil der Ernteerträge wurde beschlagnahmt, zwei Millionen Vietnamesen starben an Hunger, Krankheiten und Entbehrungen. 1946 begann der Erste Indochina-Krieg. Die Franzosen wollten ihre alten Pfründe zurückholen. Unterstützt von den Bergvölkern gelang den heimischen Viet Minh 1954 ein Meisterstück. Sie vernichteten die für uneinnehmbar gehaltene französische Festung Dien Bien Phu durch einen überraschenden Artilleriehagel. Zuvor hatten sie die groben Geschütze zerlegt und deren Bestandteile quer durch den Dschungel getragen. Unter dem Fort hatten die kleinwüchsigen einheimischen Leute zudem von Hand gegrabene Tunnelgänge mit Sprengstoff voll gestopft. Die Bergvölker im Norden Vietnams tragen noch heute ihre typischen Trachten und zeigen so ihre Eigenständigkeit und Herkunft mit Stolz. Zufall oder nicht  - an der Wand des von uns benutzten Hotelzimmers in Sa Pa hing  eine Armbrust.   

Im Zweiten Indochina-Krieg, dem „Amerikaner-Krieg“, gab es drei Millionen Tote. Zwei Millionen davon waren Zivilisten. In einem mörderischen Stellvertreterkrieg zwischen den Grossmächte Amerika und Sowjetunion wurden von US Piloten zwischen 1964 und 1971 rund 14 Millionen Tonnen Bomben abgeworfen, das Dreifache dessen, was im zweiten Weltkrieg weltweit vom Himmel fiel. Mittels Flugzeugen wurden über 80 Millionen Liter Entlaubungsmittel versprüht. Auch die aus dem 17. Jh. stammende Zitadelle der Königsstadt Hue, seit 1993 ein Weltkulturerbe, wurde in Schutt und Asche gebombt. Wir trafen einheimische Fachkräfte und Handwerker bei der Rekonstruktion der grossartigen Anlage.

Minen, Festungsstollen und Blutegel  

In Zentralvietnam liegt der Bach Ma Nationalpark. Franzosen und Amerikaner errichteten in dieser Bergwaldzone ihre Stützpunkte. Dort hat man noch in den 90-iger Jahren bis anhin unbekannte Tiere entdeckt, so den scheuen Muntjak-Hirsch. Die Regenwaldzone ist kaum bewohnt, auch weil abseits der Wege noch überall Minen lauern. Der in der Kniekehle eingefangene Blutegel war somit eine vergleichsweise harmlose, wenn auch blutende Angelegenheit. Diese raschen Schmarotzer können im Dschungel nachts im Schlaf durch den Mund und die Nase in die Stirnhöhlen kriechen und haben bei seinem Freund sogar zum Tod geführt. Dies erzählte uns der Deutsch sprechende Führer Nguyen Phuong Hoai, welcher uns drei Tage lang durch das Labyrinth des Mekongdeltas begleitete. Er musste am Krieg gegen die Roten Khmer in Kambodscha teilnehmen (1978 – 1989) und kämpfte dort gegen die von den Chinesen unterstützen Schergen von Pol Pot, welche über eine Million ihrer eigenen Landsleute, darunter auch Frauen und Kinder, auf brutalste Weise töteten. In einer „Strafaktion“ unternahmen die Chinesen 1979 im Norden Vietnams einen überfallmässigen Vergeltungsangriff. Sie verloren dabei mindestens 20'000 Soldaten und zogen sich schliesslich über die Grenze zurück. Die Wirtschaft Vietnams wurde dabei zusätzlich gebeutelt. Nach der Wiedervereinigung von Nord- und Südvietnam suchten zahlreiche Leute das Land übers Meer zu verlassen. Tausende dieser „Boat People“ wurden von Schleppern betrogen, von Piraten vergewaltigt und kamen ums Leben.  

Nach vorwärts schauen

Wir besuchten das Ho Chi Minh Museum in Hanoi und das Kriegsreliktemuseum in Ho-Chi-Minh-City (Saigon). Die grauenvollen Bilder in diesen Ausstellungen wurden bestätigt durch die Kriegsinvaliden und die erbgeschädigten Leute, welchen wir auf den Strassen begegneten. Gemäss den Aussagen von Hoai sind noch heute viele Böden im Mekongdelta mit Agent Orange vergiftet. „Wenn wir einen neuen Brunnen graben, werfen wir einen Fisch und eine Ratte ins Wasserloch. Wenn beide nach einer Woche noch leben, graben wir weiter“, meint Hoai. Seit sieben Jahren sind pränatale Diagnosen möglich und die Zahl der Fehlgeburten nimmt ab. Ohne den Widerstand des Buddhismus gegen das vom Westen unterstützte katholische Marionettensystem des damaligen Südvietnam wäre nach der Meinung von Hoai der Sieg nicht möglich gewesen. Dank dieser buddhistischen Gläubigkeit schaut das junge Volk der Vietnamesen auch heute mit Zuversicht nach vorne statt zurück.