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HAWAII (II. Teil)

Ökosysteme auf Schlingerkurs

Alula        Silberschwert    Papaya        Rotkopf-Kardinal    Aga-Kröte          Napali-Küste            Pickleweed            Wailua-River        Hinterland            Kailua   

Die Alula oder Olulu ist eine sonderbare Pflanze, welche in den Küstenkliffen der Inseln Kauai und Niihau wächst. Sie gleicht einer unten verdickten Blumenvase. Ihr Stamm kann Regenwasser speichern, seine wachsartige Hülle ist wasserdicht. Die ledrigen Blätter verhindern das Verdunsten im Wind. Beinahe wäre die sonderbare Pflanze von der Bildfläche verschwunden, verspiesen von eingeführten Ziegen und Kühen. 1970 erkannten Biologen, dass es nur noch wenige Exemplare in den rauen Klippen gab. Diese produzierten zu wenige Samen, um das Überleben der einheimischen Pflanze zu sichern. Buchstäblich im letzten Moment starteten Wissenschafter ein Bestäubungsprogramm. Im National Tropical Garden von Lawai werden die Pollen mit Pinselchen von Pflanze zu Pflanze übertragen. Künstliche Befruchtung wegen Kinderlosigkeit!  

Welche Tier- und Pflanzenwelt ist die richtige?

Welche Auswirkungen hätte das Verschwinden einer Art? Seit über einer Milliarde Jahre entstehen und verschwinden neue Lebewesen. Nach ökologischen Grundregeln können nicht zwei Arten mit gleichen Ansprüchen an die Umwelt auf die Dauer nebeneinander existieren. Das am besten ausgestattete Individuum gewinnt den harten Überlebenskampf. Verändern sich die Umweltbedingungen, gelten andere Selektionskriterien. Werden zusätzliche Konkurrenten ins System gebracht, gibt es neue Rangordnungen. Es gibt keine richtige oder falsche Flora und Fauna, höchstens eine stabile oder labile. Eine grosse Biodiversität sichert mehr Erbgut für unterschiedlichste Ansprüche. Ökosysteme gleichen einem komplexen Mobile. Schneidet man ein Teilchen ab, geraten viele andere in Schieflage. Auf isolierten Inseln werden solche Mechanismen besonders rasch augenfällig. Doch letztlich ist auch das Raumschiff Erde eine solche isolierte Insel im Weltall.

Endemische Arten sind optimal angepasst

Das vulkanische Neuland der Hawaiianischen Inseln wurde langsam und zufällig mit Leben ausgestattet. Einige Arten verraten in ihrem Erbgut zwar noch ihren Stammbaum, haben sich aber im Laufe von Jahrtausenden selektiv an die neuen Bedingungen angepasst. So findet man nur auf den kargen Lavaböden des Vulkans Haleakala auf der Insel Maui das Silberschwert (Argyroxiphium sandwicense), ein Musterbeispiel einer so genannten adaptiven Radiation. Die bis 2 m hohe Pflanze hat sich den rauen Verhältnissen in knapp 3000 Metern Höhe angepasst, sich so ihre Nische gesucht und sich dadurch dem Frass durch Tiere entzogen. Botaniker konnten dank Vergleichen von Chloroplasten-DNA eine Verwandtschaft mit zwei kalifornischen Korbblütlerarten aufzeigen. Auf besondere Weise hat sich im Laufe von Jahrtausenden auch die Hawaiianische Gans Nene entwickelt, der offizielle Staatsvogel. Weil der Vogel kaum mehr auf dem Wasser lebt, sondern in den oberen Regionen der Vulkanlandschaften vorkommt, haben sich seine Schwimmhäute stark zurückgebildet. So verbrennt er sich auf der heissen Lava auch die Füsse nicht. Dort hat er ausser dem Menschen kaum noch Feinde. Dank der erhaltenen Flugfähigkeit ist die Gans nicht gänzlich der Kochgrube der polynesischen Einwanderer zum Opfer gefallen. Ein rigides Schutzprogramm soll nun die wenigen übrig gebliebenen Tiere erhalten. Über den Berg sind sie allerdings noch nicht. 

Der Mensch gestaltet seine Umwelt

Seit der Mensch auf den Plan getreten ist, haben sich die Inseln grundlegend verändert. Bereits die Ureinwohner aus den Marquesas-Inseln und Tahiti brachten vor 2500 Jahren erste Haustiere und Pflanzen mit. Kokosnuss, Banane, Taro, Bambus, Brotfrucht und Papayas gedeihen im milden Klima gut und verdrängten oft die endemischen Pflanzen. Schweine, Hühner, Hunde, Ziegen verwilderten. In der zweiten Hälfte des 19. Jh. verbreiteten eingeschleppte Ratten die Pest. Um die Rattenplage einzugrenzen, wurden Mitte des 20. Jh. Mungos ausgesetzt, Schleichkatzen welche in Afrika und Asien beheimatetet sind. Doch diese räubern seither zusammen mit anderen Katzen in der einheimischen Vogelwelt. Die endemischen Vögel erhielten zusätzliche Konkurrenz aus Asien und Amerika. So wurde der nun sehr häufige und lautstarke schwarze Myna mit dem gelben Augenfleck 1865 aus Indien  eingeführt. Der Rotkopfkardinal folgte um 1930 aus Brasilien. Ebenfalls um die Schädlinge in den Zuckerplantagen unter Kontrolle zu halten, wurden Riesenkröten (Bufo marinus) aus Puerto Rico und Jamaika mitgebracht. Die Tiere stammen ursprünglich aus der Amazonasregion Südamerikas. Auf der Insel Molokai stolperten wir nachts fast über solche warzigen Amphibien. Sie haben sich auch in Teichen von Hotelanlagen eingerichtet. Die Kröten können bei Gefahr ein hochgiftiges Sekret verspritzen. Jährlich fallen ihnen gegen 50 Hunde zum Opfer, welche innert Minuten tot sind, wenn sie in den giftigen Cocktail beissen.  

Studieren geht über probieren

In Hawaii können die Stufen der Besiedelung durch Pflanzen und Tiere, die so genannten Sukzessionsschritte, buchstäblich im Zeitrafferverfahren dokumentiert werden. Dank den Menschen haben sich die Inseln zu fruchtbaren und blühenden Oasen in der pazifischen Wassereinöde entwickelt. Doch verheerende Veränderungen der fragilen Ökosysteme durch das Einschleppen von fremden Organismen sind offensichtlich. Die Auswirkungen werden meist erst im Nachhinein evident. Auch bei uns postulieren geschäftstüchtige Unternehmer immer drängender die Freisetzung von gentechnisch veränderten Lebewesen. Die Erfahrungen auf den Inseln zeigen, dass ein solcher Flaschengeist zwar unschwer freigelassen, nicht jedoch wieder eingefangen werden kann.